Schafft der Gemeinderat den Kompromiss?

Schafft der Gemeinderat den Kompromiss?

Wiesloch. (oé) In einer dramatischen und leidenschaftlich geführten Debatte hat Wieslochs Gemeinderat am Mittwochabend um eine Entscheidung gerungen, die nach Meinung von OB Franz Schaidhammer für Wiesloch „existenzielle“ Bedeutung hat. Formal ging es um die Frage, ob der Gemeinderat nachträglich einen Schritt des Oberbürgermeisters vom April 2008 sanktioniert: Damals hatte das Stadtoberhaupt beim Regierungspräsidium einen Antrag auf Enteignung jener Grundeigentümer gestellt, die ihre Grundstücke im ersten Bauabschnitt der „Äußeren Helde“ nicht zu den vorgegebenen Bedingungen veräußern wollten. Dass der OB den Enteignungsantrag ohne vorherigen Gemeinderatsbeschluss stellte, wurde inzwischen vom Landgericht Karlsruhe als Verfahrensfehler moniert. Dieses Manko wollte die Verwaltung nun durch einen nachträglichen Ratsbeschluss „heilen“.

Bei der Debatte im vollbesetzten Ratssaal ging es aber zugleich um viel mehr – nämlich um nichts weniger, als die Zukunft des zentralen städtebaulichen Vorhabens der Stadt für die kommenden Jahre: die Entwicklung des Wohngebiets „Äußere Helde“. Eine Entscheidung fiel am Mittwoch noch nicht – weder in der einen noch in der anderen Frage. Nach einer zweistündigen, intensiv geführten Aussprache und im Anschluss an eine gut halbstündige Sitzungsunterbrechung, die Adrian Seidler (CDU) beantragt hatte und die nochmals für interfraktionelle Gespräche genutzt wurde, stand am Ende ein mehrheitlich gefasster Vertagungsbeschluss.

Am 4. November will der Gemeinderat nun in dieser Frage noch einmal zusammentreten und dann entscheiden. Bis dahin soll die Zeit für weitere Gespräche zwischen den Fraktionen und auch mit den Grundeigentümern genutzt werden, um Kompromissmöglichkeiten auszuloten und den seit Jahrzehnten andauernden Streit um die „Äußere Helde“ eventuell beizulegen. Wie ein solcher „Neustart“ (SPD-Sprecher Dr. Lars Castellucci) aussehen könnte, deutete sich am Mittwoch bereits an: Der schon so gut wie fertig erschlossene erste Bauabschnitt der „Äußeren Helde“ wird bebaut. Die weiteren Bauabschnitte II und III werden jedoch nicht mehr realisiert – zumindest nicht in der bisher geplanten Form.

Sowohl die Grünen als auch die Sozialdemokraten hatten für einen Verzicht auf die Bauabschnitte II und III plädiert. Grünen-Sprecher Dr. Gerhard Veits sah jetzt den richtigen Moment, dass der Gemeinderat „das Heft des Handelns wieder in die Hand nimmt“. Es sei Auftrag des Gremiums, „einen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation zu finden“. Man müsse „raus aus dem Zwangskorsett der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme“. Den Bauabschnitt I wolle dagegen niemand mehr „rückabwickeln“. Ähnlich die SPD: Man reiche die Hand zum ersten Bauabschnitt und erwarte im Gegenzug den Verzicht auf Abschnitt II und III, erklärte Lars Castellucci und warnte davor, den Karren „mit Anlauf noch einmal gegen die Wand zu fahren“. Bisher seien „die Blöcke gegeneinander gestanden“, nun gelte es, aufeinander zuzugehen. Der Ball liege nun im anderen Feld.

Dort wies man indes auf mögliche juristische Fallstricke hin. Unter Hinweis auf entsprechende Rechtsgutachten, die in einer nichtöffentlichen Sitzung vorgestellt worden waren, warnte CDU-Sprecher Klaus Deschner davor, einen Verzicht auf die Bauabschnitte II und III jetzt formell zu beschließen, weil damit das ganze bisherige Verfahren nichtig werden könnte. „Dann bricht alles zusammen“, fürchtete Deschner, und der Stadt drohe enormer finanzieller Schaden.

Wie groß dieser Schaden werden könnte, hatte zuvor bereits OB Schaidhammer dargelegt. Bei einem Scheitern der gesamten Maßnahme drohten Verluste von über 17 Millionen Euro. So viel hat die Stadt im Rahmen der Sonderrechnung „Äußere Helde“ bislang vorfinanziert. Bei einem Rückbau des bereits erschlossenen Geländes kämen noch einmal rund fünf Millionen dazu. Schaidhammer warnte auch vor weiteren Zeitverlusten. Jeder Tag schlage mit Zinskosten von mehr als 2000 Euro zu Buche. Binnen Jahresfrist könnten so bis zu 850000 Euro auflaufen. Er sage dies nicht „als Drohung“, oder um „Horroszenarien“ zu entwerfen. Doch müsse jeder wissen, „worum es geht“.

Auch wenn die Befürworter der „Äußeren Helde“ klar machten, dass sie für derartige Verluste nicht gerade stehen könnten (Eugen Wickenhäuser, WGF: „Dann wäre Wiesloch auf Jahrzehnte erledigt“), bewegten sie sich doch auf die Bebauungskritiker zu. So signalisierten sowohl Eugen Wickenhäuser als auch Dr. Fritz Zeier mit Blick die Bauabschnitte II und III Gesprächsbereitschaft. Schon alleine die sinkende Nachfrage nach Bauland könne dazu führen, dass die beiden späteren Bauabschnitte „nicht so gebaut werden, wie sie geplant wurden“ (Dr. Zeier). Und Gerolf Sauer (CDU) machte deutlich, dass es für ihn einen zweiten und dritten Bauabschnitt nicht mehr geben könne, wenn nicht alle Grundeigentümer verkaufsbereit seien. „Das kann ich ihnen versichern“. Eine Diskussion darüber sei aber erst möglich, wenn der erste Bauabschnitt möglichst abgeschlossen sei. Dieser Haltung schloss sich auch Klaus Deschner (CDU) in einer persönlichen Erklärung an. Nun müsse man die Zeit bis zur nächsten Sitzung nutzen, um hierüber „eine Formulierung“ zu finden, die unter den Fraktionen konsensfähig wäre.

Es waren vor allem die neu gewählten Stadträte, die in der Debatte auf eine Vertagung gedrungen hatten. Sowohl Dr. Jörg Richter (FDP) als auch Dr. Holger Bergdolt (Freie Wähler) und Stefan Seewöster (WGF) hatten deutlich gemacht, dass sie in diesem „Politikum“ nicht „Zünglein an der Waage“ spielen wollten – zumal ihnen „15 Jahre Beschlusswissen“ fehlten (Seewöster). Dabei plädierten sie für eine „neue Ära“ im Gemeinderat (Bergdolt). Er erwarte „von allen hier, aufeinander zuzugehen“, erklärte Richter. Man solle nicht unter Zeitdruck entscheiden, sondern die kommenden Wochen nutzen, um „alle an einen Tisch zu bringen und Transparenz zu schaffen“. Es werden, so die Erwartung des Oberbürgermeisters, „schwere fünf Wochen“ werden.

Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung